Im Interview mit Nicole Karger

Mentale Gesundheit im Handwerk

Work-Life-Balance, Achtsamkeit und Co.: In den letzten Jahren hat das Thema „Mentale Gesundheit“ besonders im beruflichen Kontext branchenübergreifend immer mehr an Bedeutung gewonnen. Nicole Karger, die mit ihrem Kollegen Detlef Stolze den achtköpfigen Malerbetrieb hand-werk-zwei in Dortmund leitet, setzt sich seit 2011 aktiv dafür ein, das Stresslevel in ihrem Betrieb möglichst gering zu halten. In einem spannenden Interview durften wir ihr Fragen zum Thema „mentale Gesundheit im Handwerk“ stellen.

MEG: Frau Karger, schön, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Sie sind zu einer richtigen Expertin in Sachen psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz geworden. Wie sind Sie mit dem Thema in Berührung gekommen?

NICOLE KARGER:
Zum einen durfte ich die Erfahrung selbst machen. Das klassische Burn-out. Danach fängt man an, eigene Verhaltensweisen zu überdenken und muss – wenn es gut läuft – dauerhaft neue Verhaltensweisen erlernen. Bei anderen Menschen nimmt man dadurch viel häufiger ein ähnliches Verhalten wahr. Immer mehr, immer schneller, immer weiter klappt eben nur eine begrenzte Zeit. Zum anderen haben wir schon Erfahrungen mit Mitarbeitern sammeln können, die teilweise Auffälligkeiten gezeigt haben. Darauf möchte ich allerdings nicht weiter eingehen. In unserem Betrieb sollen Mitarbeiter einfach gesund durch das Arbeitsleben kommen – und darüber hinaus auch noch ihre Rente genießen können (was man so Rente nach 45 Arbeitsjahren nennen kann).

MEG: An welchen Stellen sehen Sie das größte Gefahrenpotenzial für eine mentale Überlastung bei uns im Handwerk?

NICOLE KARGER:
Ein großes Problem ist meines Erachtens der Facharbeitermangel. Es muss zu viel Arbeit auf wenige Schultern verteilt werden. Das ist für Inhaber, aber auch für Mitarbeiter, oft nicht zu stemmen. Hier muss ständig umorganisiert werden, da man Mitarbeiter nur nach ihren Fähigkeiten einsetzen kann. Zuverlässige Allrounder sind rar. Zudem gibt es im Handwerk seit mehreren Jahren die gleichen Gefährdungen wie in jedem anderen Bereich. Termindruck, alles muss sofort erledigt werden, kaum jemand hat noch Geduld oder Verständnis, wenn mal etwas länger dauert. Auch stehen viele Handwerksbetriebe unter wirtschaftlichem Druck. Da ist es schon sehr schwierig, sich genügend Freiraum für Work-Life-Balance, Achtsamkeit und Co. zu verschaffen.

MEG: Auch das Bundesministerium für Gesundheit macht auf seiner Website auf die Relevanz der Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens am Arbeitsplatz aufmerksam. Finden Sie, dass das Thema mittlerweile ausreichend ins Bewusstsein gerückt wird?

NICOLE KARGER:
Es wird „häufiger thematisiert, aber ausreichend noch lange nicht. Richtig offen spricht niemand darüber, weil man sich eigentlich immer noch schämt. Wer möchte denn als nicht belastbar angesehen werden? Wenn psychische Gesundheit am Arbeitsplatz eine Rolle spielen würde, dann hätte sich das Arbeitsleben entschleunigt und auch verändert. Mein Eindruck ist jedoch, dass es noch schlimmer geworden ist – der Druck noch größer. Vieles wird sich in Zukunft verändern – wichtig ist, dass man die Gesellschaft mitnimmt. Sonst wird das nichts.

MEG: Wie schützen Sie Ihr Team vor zu viel Belastung und spüren Sie durch Ihre Maßnahmen eine Stimmungsveränderung?

NICOLE KARGER:
Wir nutzen schon seit einigen Jahren das Angebot der IKK für betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Im Moment starten wir wieder mit einer Reihe von Modulen und Gesprächen, die durch die IKK begleitet werden. Es werden erst Analysen durchgeführt, in welchen Bereichen Bedarf besteht.
Das sind zum Beispiel Module wie arbeitsbedingte Belastungen, Stressmanagement oder auch Themen wie gesunde Ernährung am Arbeitsplatz. Wir führen diese Workshops während der Arbeitszeit durch, damit auch alle daran teilnehmen können. Zudem führen wir – wenn nicht durch Corona alles anders läuft – Mitarbeitergespräche in der Gruppe und auch Einzelgespräche.

Hier ist uns wichtig, dass wir immer wissen, was unsere Mitarbeiter beschäftigt und welche Probleme es gibt. Im normalen Geschäftsbetrieb geht zu häufig etwas durch. Ob unsere Maßnahmen etwas bewirken, müssen Sie eigentlich unsere Mitarbeiter fragen. Ich denke, das Miteinander ist respektvoll und harmonisch bei uns. Ein Indiz dafür, dass unsere Bemühungen erfolgreich sind, ist vielleicht, dass unsere Mitarbeiter bei Problemen um Unterstützung bitten. Hätten wir keine offene Gesprächskultur oder kein vertrauensvolles Miteinander, würde das vermutlich nicht passieren.

MEG: Was möchten Sie Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus dem Handwerk hier mit auf den Weg geben?

NICOLE KARGER:
Vielleicht braucht es nur etwas mehr Mut, andere Wege zu gehen. Die Zeit, die wir darauf verwenden, dass alle gesund durch das Arbeitsleben kommen, ist gut investiert.

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